Formen und Anzeichen der Kindeswohlgefährdung

Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine gegenwärtige oder bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes voraussehen lässt.
Kindeswohlgefährdung Titelbild

Formen der Kindeswohlgefährdung

Die Neufassung des Paragrafen – § 1631, Abs. 2 BGB – aus dem Jahr 2000 besagt:

„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen,
seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

§ 1631, Abs. 2 BGB

Der Gesetzgeber wollte mit dieser Festlegung eine Norm setzen, die als Orientierung im Umgang von sorgeberechtigten Personen oder Dritter mit ihren Kindern dient. Diese Norm ist sinnvoll, wenn es auch unmöglich ist alle Erziehungsmaßnahmen aufzulisten, die Kindern schaden. So wird immer im Einzelfall zu entscheiden sein, wo etwa „körperliche Bestrafungen“ anfangen oder was unter „seelischen Verletzungen“ zu verstehen ist. Auch eine klare Abgrenzung unterschiedlicher Formen von Kindeswohlgefährdungen ist nicht möglich. Im alltäglichen Umgang von sorgeberechtigten Personen /Dritter und Kindern vermischen und überschneiden sich die Formen. Die meisten betroffenen Kinder sind zur gleichen Zeit mehreren Formen der Kindeswohlgefährdung ausgesetzt. Bei der Beurteilung einer Kindeswohlgefährdung ist zudem die Gefährdungssituation und die Qualität der Gefährdungssituation von ebenso großer Bedeutung wie einzelne Handlungen oder Unterlassungen der sorgeberechtigten Personen /Dritter. Dennoch lassen sich die Hauptformen der Kindeswohlgefährdung wie folgt einteilen:

Vernachlässigung

Kindesvernachlässigung ist eine situative oder andauernde Unterlassung fürsorglichen Handelns. Der Begriff beschreibt die Unkenntnis oder Unfähigkeit von sorgeberechtigten Personen, die körperlichen, seelischen, geistigen und materiellen Grundbedürfnisse eines Kindes zu befriedigen wie es angemessen zu ernähren, zu pflegen, zu kleiden, zu beherbergen und für seine Gesundheit zu sorgen. Es emotional, intellektuell, beziehungsmäßig und erzieherisch zu fördern.

Physische Gewalt/ körperliche Misshandlung

Körperliche Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen zeichnet sich durch intensive und/ oder andauernde Anwendung von körperlichem Zwang bzw. Gewalt aus. Misshandlungsformen können einzelne Schläge mit der Hand sein, prügeln, festhalten, verbrühen, verbrennen, hungern oder dursten lassen, unterkühlen, beißen, würgen bis zum gewaltsamen Angriff mit Riemen, Stöcken, Küchengeräten und Waffen. Körperliche Misshandlungen sind immer auch mit psychischen Belastungen verbunden wie Angst, Scham, Demütigung, Erniedrigung und Entwürdigung.

Psychische Gewalt/ seelische Misshandlung

Psychische Gewalt/ seelische Misshandlung umfasst alle Handlungen, Unterlassungen oder Beziehungsformen, wie beispielsweise die Kinder und Jugendliche dauerhaft zu verängstigen, zu überfordern, Selbstwert vermindern. Dadurch werden ihre psychischen oder teilweise auch ihre körperlichen Entwicklung beeinträchtigt oder geschädigt.

Sexualisierte Gewalt

Sexuelle Misshandlung ist eine unter Ausnutzung einer Macht- und Autoritätsposition grenzüberschreitende, sexuelle Handlung eines Erwachsenen/ Jugendlichen an einem Kind/ Jugendlichen, die an/ vor einem Kind/ Jugendlichen gegen dessen Willen vorgenommen wird/ das Kind/ der Jugendliche nicht wissentlich zustimmen kann. 

Sie kann in Form der Belästigung, Masturbation (auch Masturbation am Opfer), oral, anal oder genitaler Geschlechtsverkehr, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, sexuelle Ausbeutung durch Einbeziehung von Minderjährigen in pornographische Aktivitäten und Prostitution realisiert werden.

Anzeichen der Kindeswohlgefährdung

Die Formen und das Ausmaß einer Kindeswohlgefährdung können sehr unterschiedlich sein. Entsprechend der verschiedenen Formen einer Kindeswohlgefährdung können auch ihre Anzeichen unterschiedlich ausfallen. Eine Einschätzung der Gefährdungssituation muss immer individuell vorgenommen werden und das Alter sowie den Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen berücksichtigen.

Die im Folgenden aufgeführte Liste von Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung dient den Mitarbeitenden als Orientierungshilfe. Hierbei handelt es nur um eine beispielhafte Auflistung, die nicht alle möglichen Anzeichen erfasst.

Körperliche Symptome

  • Fehlende Körperhygiene z.B. Schmutz- und Kotreste auf der Haut oder faule Zähne
  • Unter-/ Übergewicht 
  • Minderwuchs
  • Körperliche Fehlentwicklung
  • Verzögerte motorische Fähigkeiten, Kind wirkt berauscht oder benommen (Einfluss von Drogen, Alkohol oder Medikamente)
  • Massive und wiederholte Zeichen von Verletzungen wie z.B. Blutergüsse/ blaue Flecken (an untypischen Stellen wie Wangen, Gesäß, im Genitalbereich…), Striemen (können entstehen durch Gewalteinwirkung mit Gegenständen oder Waffen), Schwellungen, Knochenbrüche, Bissabdrücke, Kratzer, Schürfwunden oder Verbrennungen/ Verbrühungen ohne plausible erklärbare Ursachen
  • Häufiges Kranksein oder Krankenhausaufenthalte, aufgrund von angeblichen Unfällen
  • Mehrfaches Erscheinen in witterungsungeeigneter oder völlig verschmutzter Kleidung

Psychosoziale Symptome

  • Gestörtes Sozialverhalten z.B. wiederholte oder schwere, gewalttätige bzw. sexuelle Übergriffe gegenüber anderen Menschen
  • Selbstverletzung
  • Distanzlosigkeit oder völliger Rückzug / Teilnahmslosigkeit
  • Wiederholtes, apathisches (Unempfindlichkeit gegenüber Reizen) oder stark verängstigtes Verhalten
  • Geringes Selbstwertgefühl, starkes Misstrauen gegenüber Erwachsenen
  • Schlafstörungen und Essstörungen
  • Übermäßiges oder unangebrachtes Anfassen Anderer z.B. im Genitalbereich
  • Äußerungen des Kindes, die auf Vernachlässigung, Misshandlung oder sexuellen Missbrauch hinweisen
  • Ständiges Fernbleiben der Schule
  • Begehung von Straftaten
  • Hält sich an jugendgefährdeten Orten auf z.B. Spielhallen, Nachtclubs oder Bordellen

Verhalten der Erziehungspersonen im häuslichen Umfeld

  • Massive oder häufige körperliche Gewalt gegenüber dem Kind
  • Häufiges beschimpfen, verängstigen oder erniedrigen des Kindes
  • Isolierung des Kindes z.B. Kontaktverbot zu gleichaltrigen Freunden
  • Wiederholte oder schwere Gewalt zwischen den Eltern
  • Nicht ausreichende Bereitstellung von Nahrung
  • Gewährung des uneingeschränkten Zugangs zu pornografischen oder gewaltverherrlichenden Medien
  • Kind wird zur Begehung von Straftaten eingesetzt
  • Kind wird häufig und über längeren Zeitraum unbeaufsichtigt oder in Obhut von ungeeigneten Personen überlassen

Geistige Symptome

  • Sprachschwierigkeiten
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Wahrnehmungsstörungen
  • Lernschwierigkeiten
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